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TEXTE 2018 / 2019


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NARRATION UND INTERPRETATION
FIGURENKOMPLEXE / INHALTLICHE GRUPPEN

Die Bildfindung bei Jürgen Tetzlaff erfolgt ohne Photoshop-Einsatz bei der Gesamt-Bildkomposition. Photoshop findet lediglich bei Einzelelementen Verwendung - diese werden per Raster-Effekt-Filter, Farbeinstellungs-Filter, Skalierung etc. verfremdet / angepasst / vereinheitlicht. Danach wird ganz traditionell ausgeschnitten, aufgeklebt und je nach Bedarf bemalt oder angeschliffen. Ganz analog auf Papier.

Am Beginn der Arbeit werden oft wiederkehrende Elemente verwendet, die zunächst nur aus formalen Gründen Eingang finden, während ihr Bezug zu einer möglichen, implizierten Handlung oder zum Bildinhalt im Allgemeinen zu diesem Zeitpunkt ungeklärt bleibt. Natürlich ist es hilfreich einen Teil der Symbolik schon zu Beginn fertig zu definieren, als vage Begrenzung des programmatischen Terrains, um Willkür und Beliebigkeit bezüglich der Bildelemente und ihrer Interpretierbarkeit zu vermeiden . Durch Wiederholung, Rekombination, Neuanordnung und Häufung, welche innerhalb dieses konzeptionellen Rahmens aus Bildmetaphern, Stil- und Inhaltszitaten, Bezüge zu Historie, Kultur, Gesellschaft, whatever... stattfinden, entstehen nach und nach Bezugsgeflechte und Sinn-Komplexe. Diese bestehen nun nicht mehr wie zu Beginn, aus Zufälligkeiten, sondern werden plötzlich zu sinngeladenen und natürlichen Teilstücken einer übergeordneten Geschichte. Jonathan Meese würde das wohl eine "Nährkette" nennen.

Anfangs stehen die Bildelemente ohne sichtbaren, evidenten Bezug zueinander, ähnlich einzelnen Worten und Silben, welche an sich zwar schon lesbar waren, aber ohne übergeordnete Struktur und sichtbare Grammatik ohne Sinn blieben. Fehlende Struktur macht eine klare Interpretation zu diesem Zeitpunkt (noch) unmöglich. Mit steigender Zahl an Elementen / "Wörtern" entstehen aber komplette, sinnvolle (oder auch absurde) "Sätze", die schliesslich zur Erzählung werden. Auch intuitiv eingesetzte Elemente ergeben plötzlich passende Begriffe, die sich in Struktur und Geschichte einfügen. Dieses Prinzip funktioniert meist mit erstaunlicher Zuverlässigkeit.

 

 

FIGURENKOMPLEXE

Avatare und Hybride

Die Hybriden sind durch Gen-Design Optimierte, mit kybernetischen Prothesen und Bodyextensions modifizierte Mensch-Maschinen , deren Körper nur noch zu einem geringen Teil aus biologischen Komponenten bestehen. Vom User-Kortex werden die Körper als frei konfigurierbares Werkzeug, als austauschbares Vehikel, das nur noch bei Bedarf mit dem steuernden Geist verknüpft sein muss betrachtet. Die Bindung von Körper und Geist in der Selbstwahrnehmung und deren Zusammengehörigkeit wird nicht mehr existieren, ein Begriff wie "Mein Körper" wird bedeutungslos und nicht mehr nachvollziehbar, da Homo Deus nicht nur einen Körper besitzen wird. Mit zunehmender Modifizierung wird auch die Vorstellung von "Ästhetik" so weit individualisiert , dass diese jede Gültigkeit verliert. Durch den Zustand totaler Individualität werden die gelebten Körperphantasien und Fetische, und natürlich auch das zugrunde liegende Selbstbild dieser narzisstischen Zivilisation , immer grotesker und devianter werden.

Wer seinen Körper (noch)nicht verändern will, aber dennoch die Vorzüge eines neuen, kybernetischen Körpers geniessen möchte, nutzt einen Real-Avatar, den er per Remote Control, direkt eingeloggt über seine implantierte neurokortikalen Schnittstellen, in Echtzeit steuern kann. Diese Avatar-Systeme werden jedoch nur Erscheinungen einer Übergangsphase darstellen. In letzter Konsequenz wird Homo Deus gänzlich auf seinen überflüssig gewordenen biologischen Körper verzichten.

Analog dazu verhalten sich die Figuren der Matrix-Avatare, nur dass diese Körper virtuell sind und der User-Cortex nicht per remote-control steuert, sondern Teil der virtuellen Simulation ist. Abgesehen vom Faktor der Virtualität, werden die Entwicklungen denen der Hybridkörper in der nicht-virtuellen Welt gleichen. Die Erscheinungsformen jener ehemals menschlichen, jetzt aber virtualisierter Lebewesen werden von ihren Userrn allerdings höchstwahrscheinlich noch radikaler verändert und neugestaltet werden, da sie in der virtuellen Matrix beim Re-Design ihres Avatar-Körpers natürlich keinerlei Beschränkungen durch Physik und Realität unterliegen.
Individuelle Träume und Alpträume werden sich ohne jedes Limit verwirklichen lassen...In seiner neuen, abstrakten Daseinsform wird Homo Deus sich in einen reinen Datenstrom des Bewusstseins verwandelt haben, der zwischen künstlichen Hüllen und künstlichen Welten beliebig wird wechseln können.

Ob nun im künstlichen Körper oder in einer künstlichen Welt:
Sämtliche sozio-kulturellen Bereiche und Belange des Lebens wären von den radikalsten Veränderungen in der Geschichte der Menschheit betroffen.
Kunst, Sprache, soziale Interaktion, Sexualität, Stimulantien und Drogen, all das wird dann entweder ganz verschwunden sein oder dergestalt, dass die zukünftige Form den Rahmen unseres beschränkten, biologischen Gehirns und seiner mangelnden Vorstellungskraft sprengen würde.

 

 

Neo-Primitive

Eine grosse Frage der Zukunft wird die der Partizipation an den neuartigen Technologien sein. Wer wird denn nun unsterblich werden, wessen Gehirn wird optimiert, wer erhält den neuen Körper wenn der alte, biologische verfallen und siech ist? Angesichts von Ressourcenschwund und Überbevölkerung ist die Antwort recht klar: eine Minderheit von Priveligierten. Da Technologie Kosten verursacht, werden, wie zu allen Zeiten, die fortschrittlichsten Techniken denjenigen vorbehalten bleiben, die über ausreichende ökonomische Mittel verfügen. Sollte tatsächlich die von Kurzweil prophezeite Unsterblichkeit technisch verwirklicht werden, so wird der Zugang zu dieser Technologie auf eine kleinen Schicht der Superreichen beschränkt bleiben. Und diese Elite wird mit Sicherheit darauf bedacht sein, diese Beschränkung aufrecht zu erhalten. Millarden von Unsterblichen auf einem Planeten würden diesen in kürzester Zeit kollabieren lassen. Die Geschwindigkeit der Vergiftung, Zerstörung und Ausbeutung würde exponentiell zunehmen, was beim derzeit bereits bestehenden Schadensausmaß natürlich fatal enden müsste! Diese Tatsache wird auch dem Dümmsten dieser priveligierten Schicht reicher Säcke klar sein.

Was die Zukunft für jene Mehrheit der Ausgeschlossenen bereit hält, darüber darf man spekulieren. Auch darüber, ob jene ausgeschlossene Mehrheit ihre Ausgrenzung widerstandslos hinnehmen wird, oder ob gewaltsame Konflikte um den Zugang der Technik die Folge sein werden (recht sicher). Wird eine solche Gruppe der Ausgeschlossenen einen wirklichen zivilisatorischen Rückfall im Stile einer Hollywood-Dystopie erleiden? Oder wird der Begriff "Primitive" lediglich, aus der Sicht des optimierten Menschen, die Distanz in der Entwicklung zwischen den neuen Technologien, über die Homo Deus verfügen wird und den alten Technologien der breiten Maße ausdrückem?

Die Option eines kulturellen und technologischen Rückschritts ist gar nicht so unrealistisch, da die Gruppe der Priveligierten der Masse der Überflüssigen natürlich nicht nur den Zugang zu Technologie verwehren, sondern auch die knapper werdenden Ressourcen der Erde für sich beanspruchen wird. Ohne Zweifel wird mittels überlegener Waffen dieser Anspruch auch durchgesetzt werden. Vielleicht werden sich die zerschlagenen, versprengten Gruppen der besiegten Rebellierer tatsächlich in öden, unzugänglichen Gebieten tribalistisch organisieren und sich dort vor dem Zugriff durch Homo Deus verstecken. Immer in der Angst, sie könnten von einer der autonomen Drohnen entdeckt werden, die unablässig am Himmel patrouillieren.

Der Zeitpunkt der Einführung jener Technologie, die den elitären Gruppen die physische oder mentale Unsterblichkeit ermöglichen wird, wird der Moment in der Entwicklungsgeschichte sein, an dem sich die evolutionäre Linie des Homo Sapiens in die neue Stammlinie des Homo Deus und die, schon kurz danach abrupt endende, alte Linie des nicht-optimierten Homo Sapiens teilt. Von jetzt an bilden die beiden Gruppen unterschiedliche Gattungen, gehören nicht mehr der gleichen Spezies an.
Ob Homo Deus sich seinem Vorfahr und Ex-Artgenossen noch in irgend einer Form empathisch zugeneigt fühlen wird, darf bezweifelt werden. Ähnlich den Bewohnern der Klonenklaven in Houellebecq´s "Möglichkeiten einer Insel" werden die optimierten Neo-Menschen, bedingt durch das intellektuelle Gefälle, für einen Homo Sapiens vermutlich nicht mehr Empathie empfinden, als für ein irgendein Insekt.
Diese Entfremdung wird auch ein Resultat der unmöglich gewordenen Kommunikation zwischen den beiden Gattungen sein.

Durch Optimierung und Vernetzung seines Gehirns wird Homo Deus nicht einfach nur schneller denken.
Struktur und Denkmuster, die gesamte Art der Denkvorgänge wird sich komplett verändern. Neuroports und Interfaces werden Kommunikation über den Umweg der Sprache nahezu überflüssig machen. Informationen werden stattdessen als Datenblock über die Schnittstellen direkt ins Gehirn übertragen werden, unterstützende Algorithmen implantierter Speicherbänke werden bei Archivierung und Analyse synaptischer Informationen assistieren.

Daten werden nicht mehr linear, quasi Wort für Wort, verarbeitet. Unser verbales Denken, die kleine, einsame Stimme unseres "Ichs" im Kopf wird es in dieser Form im vernetzten Gehirn der Optimierten nicht mehr geben. Ihre Gehirne werden Unterstützung erhalten von Hilfsalgorithmen, die von der KI der Neuro-CPU in Echtzeit und bedarfsgerecht binnen Nanosekunden programmiert und in den Kortex gestreamed werden. Gedacht wird nicht mehr linear, sondern Informationen werden in unglaublicher Zahl parallel eingelesen. Wenn das verbal-lineare Denken eine Stimme im Kopf generiert , das parallele Denken käme einem Homo Sapiens, dessen Synapsen nicht über eine kompatible Neuro-Konfiguration zur optimierten Daten-Verarbeitung verfügten, vor wie eine einzige schizophrene Kakaphonie.

Eine Kommunikation zwischen Homo Deus, mit seinen neuartigen Hochgeschwindigkeits -Denkstrukturen und Homo Sapiens, mit seinem alten, linear arbeitenden Hirn, wird nicht mehr möglich sein.

 

Tod und Transformation

Bildelemente, die assoziativ mit Tod und Sterben verknüpft werden können sind allgegenwärtig. Schädel, Skelette, Bilder aus alten Anatomiebüchern, Gasmasken, Käfer - in den Bildern wird der neue Mensch regelrecht bedrängt von den Symbolen des Todes. Fast scheint es , als ob die Leugnung der Wirklichkeit und Notwendigkeit des Todes durch Homo Deus, diese Präsenz erst verursacht. Als ob der Tod auf den Bildern jene anmaßend-unverschämten Spezies, die in ihrer Hybris glaubte, ihn überwinden und überlisten zu können, belauert und belagert. Sich bisweilen tarnend und sein Ziel in harmloser Gestalt umflatternd, wartet er offensichtlich nur auf einen Moment der Schwäche und Unachtsamkeit...

"Todessymbol" ist nur eine (grundsätzliche) Bedeutungsebene der zu diesem Komplex gehörenden Bildelemente. In der jeweiligen Kombination mit unterschiedlichem Umgebungs-Kontext auf den verschiedenen Bildern wird noch eine zusätzliche Aussage dieser Elemente impliziert - Transformation.

Die Organgärten (Serie Hortus) in denen Homo Deus seine neuen Körper züchtet, die Schmetterlinge, die Käfer '(lat. scarabeus) - in der zweiten Bedeutungsebene geht es um die Überwindung und Transformation des Todes.

Die Erkenntnis der Vergänglichkeit ist Anlass und Basis aller Spiritualität aber auch der Ethik und Moral, denn sie führt den Menschen zur Frage nach Grund und Sinn des Lebens.

 

TOD UND LEBEN, LEBEN OHNE TOD

Das grosse Versprechen der Transhumanisten an die Menschheit ist die Überwindung des ältesten Feides der Menschheit, des Todes, nicht wie vor dem Informatioszeitalter, durch Religion, sondern durch 'Technologie.

Die Erkenntnis der eigenen Vergänglichkeit und des Todes muss unsere Vorfahren bereits sehr früh ereilt haben. Sein Leben im Augenblick, im "Jetzt", wie er es bislang geführt hatte, wie es all die übrigen Tiere des Planeten auch weiterhin führten, nahm hier ein jähes Ende für ihn.

Bereits die Neanderthaler machten sich Gedanken über das "Danach". Gefunden Grabstellen zeigen, dass sie ihre Toten nicht nur aufwändig und rituell beerdigten (Hockstellung, Steinabdeckung), sondern ihnen auch Gegenstände als Grabbeigaben mitgaben, die eindeutig zeigten, dass sie an eine jenseitige Welt nach dem Tod glaubten und diesen Glauben innerhalb ihrer Gemeinschaft teilten. Der Tod und unsere Furcht schufen nicht nur das Bedürfnis nach Religion und Spiritualität, er erschuf auch die erste nicht natürliche Hierarchie. Die Stämme der Jäger und Sammler kannten zwar auch eine naturgegebene, durch Alter, Erfahrung und Leistungsfähigkeit definierte Hierarchie. Eine solche war aber nichts spezifisch menschliches, sondern konnnte in dieser Form auch bei Wolfsrudeln oder bei Elefantenherden beobachtet werden.

Es waren die Medizinmänner, die als erste eine hierarchische Sonderstellung einnahmen. Eine Position, welche sie sich durch eine immaterielle Leistung verdienten, nicht durch die Arbeit ihrer Hände und Körper, wie die anderen Mitglieder ihrer Gemeinschaften. Da Tod und Sterben im Leben der frühen Menschen nie allzuweit entfernt war, machte es für diese Menschen wohl Sinn, wenn es unter ihnen einen gab, der in der Lage war die Grenze des Todes zu überschreiten und zu den Geistern zu sprechen. Diese Fähigkeit entband ihn, wie schon erwähnt, als einzigen (später kamen noch Stammesführer / Häuptling / Fürsten etc. hinzu) innerhalb seiner Gemeinschaft von der Verpflichtung zur körperlichen Arbeit. Diese gesellschaftliche Tradition einer besonderen Stellung der Schamanen, Priestern und Geistlichen innerhalb der Hierarchie einer Gemeinschaft, hatte über die Jahrtausende und in allen Religionen Bestand.

Die Sonderstellung ermöglichte es ihm nun neuartige kulturelle Leistungen zu erbringen. Zum einen die Bewahrung des Wissens und der Geschichte der Gemeinschaft. Aber auch die ersten künstlerisch-kreative Leistungen, die der Spiritualität dienten, wie z.B. die Erschaffung von Kultgegenständen (z. B. die Venus von Willendorf ) oder magische, rituelle Malereien an kultische Orten(z. B. in den Höhlen von Lascaux). Zu einem späteren Zeitpunkt der menschlichen Entwicklungsgeschichte kam noch die kultische Architektur dazu. Stonehenge entstand, ebenso die babylonische Zikkurate und die ägyptischen Pyramiden. Bei letzteren ist der Bezug zum Wissen um die Vergänglichkeit des Menschen und der hier unternommene Versuch einer Transformation des Todes durch Spiritualität besonders evident . Durch Bild und Skulptur und Architektur soll diese magische Spiritualität manifest werden und den Tod und seinen Schrecken bannen.

Es gibt in der Entwicklungsgeschichte eine direkte Verbindung, die vom Bewusstsein der eigenen menschlichen Vergänglichkeit und des Todes, direkt hin zu Kreativität, zu Kunst und Kultur, zu Malerei und Skulptur führt.
Tatsächlich scheint es so, als ob der Mensch überhaupt erst durch dieses Bewusstsein befähigt wurde, solche kulturellen Leistungen zu erdenken.